Die Mutter aller innenpolitischen Verhandlungsschlachten ist geschlagen - die Hartz IV-Reform ist unter Dach. Nach einem zehnstündigen Sitzungsmarathon in der vergangenen Woche kam endlich das erlösende: "Ja - es ist vollbracht!" Somit gehören die bundesdeutschen Seilziehmeisterschaften der Regierungsparteien und der Opposition mit einer Unbekannten (den Ländern) der Vergangenheit an. Die Regierungsparteien und die SPD konnten es schließlich nicht auf sich sitzen lassen, dass sich drei Ministerpräsidenten um eine bundespolitische Entscheidung solch wichtiger Tragweite kümmern wollten. Die Grünen sind während der Verhandlungen ausgeschieden. Rückwirkend zum 01. Januar 2011 soll jeder erwachsene Hartz IV-Empfänger zusätzlich zu den bisherigen 359,- € weitere 5,- € monatlich erhalten. Die nächste Erhöhung ist per 01. Januar 2012 mit zusätzlich 3,- € pro Monat geplant. Daneben wird auch eine Anpassung an die Preis- und Lohnsteigerung auf Basis von Einkommens- und Verbraucherstichproben zwischen Juli 2010 und Juni 2011 durchgeführt. Betroffen von dieser Maßnahme sind etwa 4,7 Mio Langzeitarbeitslose. Im heiß umstrittenen Bildungspaket einigten sich die Regierungsparteien und die SPD auf zwar das Beibehalten der bisherigen Regelsätze; daneben allerdings werden etwa 2,5 Millionen Kinder zusätzliche Leistungen für Mittagessen, Ausflüge, Sport- und Musikunterricht sowie Nachhilfe erhalten. Für diese Mittagessenssubventionierung und zusätzlichen Schulsozialarbeiter haben die Kommunen aufzukommen. Sie erhalten hierfür bis 2013 pro Jahr 400 Mio € - ermöglicht durch eine Erhöhung der Miet- und Heizkostenzuschläge durch den Bund. Solche Gelder können ab sofort in den kommunalen Jobcentern beantragt werden. In der ebenso umstrittenen Frage der Grundsicherung armer Rentner wird der Bund schrittweise bis 2014 die Kosten übernehmen. Finanziert wird dies durch die Kürzung des Zuschusses bei der Bundesagentur für Arbeit um einen halben Mehrwertsteuerpunkt. Nach der Einigung wurde keine Zeit verloren. Der Vermittlungsausschuss segnete die Reform ab, der Bundesrat gab am Freitag hierzu sein Ok. Wird dies von den verantwortlichen Politikern als Erfolg gefeiert (Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen spricht von einer "Allianz der Vernünftigen"), so hagelt es doch schon wieder Kritik. Linke und Grüne beanstanden die Neuberechnung des Regelsatzes und kündigten erneut eine Eingabe beim Bundesverfassungsgerichtshof in Karlsruhe an. Linken-Chef Gregor Gysi spricht von unverantwortlich, dass führende Politker der SPD trotz verfassungsrechtlicher Bedenken für die Neuregelung gestimmt haben. "Nicht ohne Sorge" sieht auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) der erneuten Überprüfung durch die Verfassungsrichter entgegen. Auch seine Bedenken gelten der Berechnung des Regelsatzes. Ebenfalls übrigens wie DGB-Chef Michael Sommer, der Gewerkschaftsmitgliedern bei Klagen gegen die Reform bereits Rechtsschutz angeboten hat, und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, der eine milliardenschwere Belastung auf die Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung zukommen sieht, da der Bundesagentur für Arbeit ein dauerhaftes Defizit droht.. Nette Anekdote zum Schluss: Ein Hartz IV-Empfänger beantragte die Finanzierung eines Fernsehgerätes im Jobcenter. Dies jedoch wurde mit dem Vermerk zurückgewiesen, dass ein TV-Gerät nicht zur Erstausstattung einer Hartz IV-Wohnung gehöre. Das bestätigte Ende der letzten Woche auch das Bundessozialgericht. Ein Fernseher ist nicht für die grundlegenden Bedürfnisse des Aufenthaltes, des Schlafens und Essens erforderlich. Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 7 KW 9 | 01.03.2011 |
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